Für eine neue Kultur des Scheiterns
Die meisten Personen, die im Dokumentarfilm «Brilliant Failure in International Partnerships» auftreten, sind r4d-Forschende. Ein paar Aussenstehende bringen zusätzliche Perspektiven über Partnerschaften ein: woran sie scheitern und wie sie gelingen können. Oft wird geschmunzelt oder gelacht. Das mag daran liegen, dass es ungewohnt ist, so offen über Dinge zu sprechen, die nicht so laufen, wie es Absicht war.
«Wir sind gut darin, Misserfolge als Erfolge zu verkaufen», sagt im Film etwa die Geografin Sabin Bieri von der Universität Bern, «so sind wir konditioniert.» «Misserfolg ist immer eine Frage der Perspektive», relativiert der Ökonom Ronaldo Morales aus Bolivien. So sind möglichst viele Publikationen in international anerkannten Zeitschriften für Forschende im Norden enorm wichtig, während sie Partnern und Partnerinnen im Süden möglicherweise kaum ein Gewinn und darum weniger erstrebenswert sind.
Sabin Bieri wünscht sich, dass Forschende in Ländern des Südens weniger auf Anweisungen warten, sondern mehr selber mitdenken und aktiv werden. «Häufig antizipieren sie einfach, was wir wollen, was wir als Erfolg betrachten.» Denn wer zahlt, der befiehlt eben sehr oft auch, oder wie Pia Hollenbach, eine der fünf Projektverantwortlichen, sagt: «Die Ressource Geld ist immer noch ein sehr mächtiges Argument.»
«Misserfolg ist immer eine Frage der Perspektive.»
Ronaldo Morales, Universität San Andrés, Bolivien
Er glaube nicht, dass Forschende aus dem Norden ein echtes Interesse an Entwicklungszielen hätten, ist der nepalesische Soziologe und Konfliktforscher Bishnu Raj Upreti überzeugt, wenige Ausnahmen einräumend: «Hat man kein Geld, so denken sie niemals an gleichwertige Partnerschaft.» Für eine funktionierende Partnerschaft müssten die Partner und Partnerinnen im Süden seiner Meinung nach in alle finanziellen und strategischen Entscheidungen miteinbezogen werden. «Doch das wird niemals passieren. Es ist ein Machtspiel.» Es zeichnet den Dokumentarfilm aus, dass er auch kritische Aussagen wie diese enthält und dass am Ende alle Interviewten ihre Äusserungen freigaben.
«Der Film beschreibt die Bedenken, die Forschende in Bezug auf internationale Partnerschaften haben», erklärt Nishara Fernando. Persönlich teilt der Projektverantwortliche aus Sri Lanka die negative Erfahrung von Bishnu Raj Upreti nicht: «Die meisten Forschenden aus dem Norden, mit denen ich zusammengearbeitet habe, haben die Aufteilung des Projektbudgets vor der Einreichung des Projektvorschlags mit ihren Partnern im Süden besprochen.» Ihm seien nur wenige Fälle bekannt, in denen über das Projektbudget entschieden wurde, ohne den Süden zu konsultieren.
Foto 1: Elizabeth Jimenez unterhält sich per Video-Call mit Ronaldo Morales. Credit: Storytex and Brickwall.
«Scheitern ist immer auch eine Chance, etwas zu vertiefen. Ein Fehler ist kein Bruch, sondern eine Gelegenheit für Kursüberprüfung, respektive Kurskorrektur» sagt Filmemacherin Sonja Schenkel. Pia Hollenbach ergänzt, dass Krisen leider selten so wahrgenommen und genutzt würden. Lieber wählt man die Schmerzvermeidung und sucht die Schuld bei anderen: «Wir verdrängen den Schmerz, den wir empfinden, wenn es mit einer Partnerschaft nicht gut klappt. Wir argumentieren dann gerne, es sei nicht professionell, die anderen würden nicht liefern, sie würden es nicht so machen, wie vereinbart. Wir hängen uns an dieser Matrix fest und glauben, dort eine Sicherheit zu haben.» Doch Emotionen müssten Raum bekommen und besprochen werden, ist sie überzeugt: «Emotionen sind nicht falsch. Sie können Motor sein für etwas Neues.»
«Scheitern ist immer auch eine Chance, etwas zu vertiefen.»
Sonja Schenkel, Paititi Lab, Schweiz
«Da man Misserfolge nicht vermeiden kann, sollte man wenigstens aus ihnen lernen», findet die fünfköpfige Projektgruppe. Sie besteht neben Nishara Fernando aus Sri Lanka und den beiden Europäerinnen Pia Hollenbach und Sonja Schenkel aus Eliud Birachi aus Kenia sowie Elizabeth Jimenez aus Bolivien. In der Einladung zu einem Brilliant Failure Workshop schreiben sie: «Wir möchten zeigen, dass eine neue Kultur des Scheiterns den Boden bereitet für echte Lernmöglichkeiten, die Anstoß für Verbesserungen und Veränderungen sein können. Die Akzeptanz von Misserfolgen als unvermeidlicher und wertvoller Aspekt des Lebens im Allgemeinen und der Innovation im Besonderen wird die Art und Weise, wie wir arbeiten, verhandeln und in Partnerschaften erfolgreich sind, verbessern.»
Misserfolge anders bewerten
«Aus Fehlern wird man klug», heisst es, doch die gesellschaftliche Konditionierung auf Perfektion und Erfolg sitzt tief. «Meistens bewerten wir Misserfolg im Sinne von richtig oder falsch. Das haben auch die Interviews gezeigt», erinnert sich Sonja Schenkel. «Es würde viel helfen, Misserfolg mehr mit Lernen und Innovation zu konnotieren. Denn diese Verbindungen sind ganz klar da.» Das Konzept und diverse akademische, gesellschaftliche und politische Initiativen zu Brilliant Failure stammen übrigens aus den Niederlanden. «Brilliant Failure hilft, aus Erfahrungen zu lernen, was wiederum künftiges Scheitern verringert. Für mich ist dieses Projekt ein Augenöffner,» so Nishara Fernando.
Als Rahmenerzählung hält eine poetische Animation Hartes, Ehrliches, Einsichtiges und Amüsantes zusammen. Von Beginn weg geplant war sie nicht, vielmehr ist sie selber eine Art Brilliant Failure, ein Mehrwert, der aus einer schwierigen Situation geboren wurde. «Uns war es wichtig, verschiedene Leute zueinander in Beziehung zu bringen, die sich über das Thema austauschen», erinnert sich Pia Hollenbach. Wegen dem weltweiten Ausbruch der Corona-Pandemie just zum Beginn des Projektes waren reale Treffen aber lange Zeit nicht möglich. Stattdessen gab es nur Video-Calls, deren Qualität für einen Film aber nicht reichte. So entstand die Idee einer ergänzenden Animation und der Projektgruppe war schnell klar: «Lasst uns die Reisekosten, die wir dank Corona sparen, darin investieren.»
«Brilliant Failure hilft, aus Erfahrungen zu lernen, was wiederum künftiges Scheitern verringert. Für mich ist dieses Projekt ein Augenöffner.»
Nishara Fernando, Universität Colombo, Sri Lanka
Das Drehbuch und den Text zur Animation schrieb Sonja Schenkel. Sie kannte bereits andere Produkte von Sasha Langford, einer Zeichnerin in einer Londoner Agentur, die ihr gut gefielen: «Je klarer man weiss, was man will, umso einfacher verläuft die Zusammenarbeit», erzählt die Zürcher Filmemacherin. Sasha Langford entwickelte und animierte die Bilder im engen Kontakt mit ihr. «Podcasts machen, auf Twitter aktiv sein und eine tolle Homepage haben – das wird heute fast schon selbstverständlich erwartet, aber als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können wir das nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln», erwidert Pia Hollenbach auf die Frage nach den Kosten einer solchen Produktion. «Natürlich hat Professionalität ihren Preis. Aber wenn ich sehe, was dabei Nachhaltiges herauskommt, finde ich ihn absolut gerechtfertigt. Etwas Dilettantisches wird dem, was die Wissenschaft zu sagen hat, einfach nicht gerecht.»
Foto 2: Im Uhrzeigersinn von oben links: Sonja Schenkel und Eliud Birachi, das Projektteam gezeichnet von Sasha Langford, Pia Holllenbach und Nishara Fernando. Credit: Storytex and Brickwall.
Sie betont zwar unermüdlich, dass alle Teammitglieder gleichwertig sind, und das ist sicher wahr, und doch war sie es, die die ursprüngliche Idee hatte und begann, alle anderen miteinander zu verbinden: Pia Hollenbach, Koordinatorin des r4d-Projektes «Waste of(f) life» mit Wurzeln in Österreich und Arbeitsplatz in der Schweiz. Mit Nishara Fernando verbindet sie neben gleichen Forschungsinteressen und parallel verlaufenden wissenschaftlichen Karrieren eine lange Freundschaft. Für den Soziologen an der Universität Colombo war es schnell entschieden, in dem Projekt mitzumachen: «Als Forscher aus dem Süden habe ich einige der Themen, die der Dokumentarfilm behandelt, selbst erlebt.»
Filmemacherin Sonja Schenkel hatte Pia Hollenbach im Rahmen desr4d-SyntheseprojektesDigital Storytellers kennengelernt: «Schon damals wünschte ich mir, einmal gemeinsam mit ihr etwas gestalten zu können», erinnert sie sich. Auch von Elizabeth Jimenez hallte bei ihr eine positive Begegnung nach. Die bolivianische Ökonomin zog schliesslich ihren kenianischen Kollegen und Agrarökonomen Eliud Birachi aus demr4d-FATE-Projekthinzu. Ab dann war es Teamwork, das Proposal schrieben sie gemeinsam. «Die Beziehungen unter uns waren sehr herzlich», erinnert sich Nishara Fernando. «Wir trafen alle Entscheidungen im Gespräch, darum gab es niemals Meinungsverschiedenheiten.» Wer genau hinsieht, erkennt die Fünf da und dort in der Animation.
«Hey, Fehler sind etwas Produktives, Wertvolles!»
Pia Hollenbach, Universität Lausanne, Schweiz
Gibt es ein Rezept, wie aus einem Misserfolg ein brillanter Misserfolg wird? «Zuerst einmal müssen wir zugeben, dass es ein Misserfolg ist, das ist das Wichtigste», erklärt Pia Hollenbach. «Vielleicht sagt das Bauchgefühl: Irgendetwas läuft nicht mehr so, wie es sollte. Es fühlen sich nicht mehr alle wohl, jemand zieht sich vielleicht zurück. Dann sollten wir in aller Offenheit fragen, was es ist.» Dabei braucht es möglicherweise Mut und Selbstsicherheit, eine Unstimmigkeit anzusprechen. Denn man exponiert sich und erschüttert das System. Auch das thematisiert der Film.
«Meiner Meinung nach haben wir eine komplett falsche Fehlerkultur», sagt Pia Hollenbach. «Wir schämen uns dafür, verdrängen, wollen ein Scheitern nicht zugeben.» Das fiel ihr in ihrer Arbeit, die seit Jahren sowohl Entwicklung als auch Forschung umfasst, immer wieder auf. «Ich behaupte, dass die Fehlerkultur in der Wissenschaft sogar schlechter ist als im Entwicklungskontext. Da wird zwar sehr viel geredet, aber kaum wirklich aufgearbeitet. Niemand fragt: Und was lernen wir daraus?» Doch Nishara Fernando nimmt das aus seiner Perspektive anders wahr: «Ich denke, dass Forschende im Norden Misserfolge eher als Lernergebnisse akzeptieren, während sie im Süden als Versagen des Forschers oder Teams angesehen werden.» Einig sind sie sich darin, das Thema positiv anzugehen. Pia Hollenbach sagt: «Ich möchte den Leuten sagen: Hey, Fehler sind etwas Produktives, Wertvolles!»
Mehr wir, weniger ich
So wertvoll wie ein Diamant. Die Analogie mit dem Brillanten passt gut. Denn brillant ist ja der Schliff, der einen Diamanten zum Strahlen bringt. Der Diamant muss aber erst entdeckt und erkannt werden. Es wird Arbeit investiert, bis er in seinem ganzen Glanz strahlt. Mit Misserfolgen ist es ähnlich. Man muss ihren Wert und ihr Potenzial erkennen und an ihnen arbeiten, so unscheinbar und dreckig sie auf den ersten Blick auch aussehen.
Neben Forschenden aus r4d-Projekten, die sehr offen über ihre Erfahrungen in Nord-Süd-Partnerschaften, damit verbundene Schwierigkeiten und Lösungswege berichten, enthält der Film auch Inputs ‘from out of the box’. Schliesslich prägen Partnerschaften unser ganzes Leben. Weitere Expertinnen und Experten wurden eingeladen, die sich in anderen Zusammenhängen mit dem Thema befassen. Eine ist Juana Quispe Alanoca, eine Sozialarbeiterin in der bolivianischen Hochebene, die sich für die Stärkung und Selbstermächtigung von Frauen, Indigenen und Bauern einsetzt. Sie sagt: «Wir haben alles, um den Erfolg zu erreichen, den wir uns wünschen. Doch es ist niemals nur ein individueller Erfolg.» Von der Lebensweise der indigenen Bevölkerung der Aymara geprägt, plädiert Juana Quispe Alanoca für ein starkes Wir, wo die Gruppe handelt und Verantwortung trägt und wo nicht soviel Buchhaltung darüber geführt wird, was der eine oder die andere gemacht hat oder nicht. Sehr besänftigend auch, wie Aymara mit Misserfolgen umgehen. «Keiner fühlt sich deswegen schlecht», so Juana Quispe Alananoca, «man sagt sich einfach: Wenn ich es heute nicht geschafft habe, dann mache ich einfach morgen weiter.»
«Es ist niemals nur ein individueller Erfolg.»
Juana Quispe Alanoca, Bolivien
Ein starkes Wir-Gefühl half auch der Projektgruppe, durch die Ungewissheit einer weltweiten Pandemie zu navigieren und trotz allen Hindernissen ihr Ziel zu erreichen. «Die Situation mit Corona und den weltweiten Lockdowns verlangte von uns grosse Flexibilität. Wir mussten uns mindestens fünfmal neu erfinden», erinnert sich Sonja Schenkel. So sei es bei ihren Video-Calls bald nicht mehr nur um die Arbeit gegangen, sondern auch um Solidarität, das Aufrechterhalten von Verbindungen und schlichtweg die Frage: Wie geht es euch? «Wir wussten, wie fragil viele Länder und persönliche Situationen sind», so Pia Hollenbach, «und ich wünschte mir, dass wir manchmal auch ohne eine offensichtliche Krise verstehen, dass wir alle in unserem Menschsein Krisen haben, die wir oft von anderen gar nicht erfahren.»
Foto 3: Die Arbeit hat sich gelohnt, Ergebnis ist ein schöner Brillant. Credit: Storytex and Brickwall.
Eine Erfahrung hat sich Sonja Schenkel besonders eingebrannt. Die Gruppe hatte längere Zeit nichts mehr von einer Mitarbeiterin aus Sri Lanka gehört, von der sie Transkripte erwartete. Mailanfragen blieben unbeantwortet. Bis die Frau sich aus einem Camp meldete, wo die Behörden sie wegen einer Covid-Infektion isoliert hatten. «Sobald sie konnte, hat sie sich gemeldet und hat ihre Arbeit zum Besten beendet», erzählt Sonja Schenkel. «Endlich verstanden wir, warum sie sich nicht gemeldet hatte. Wie schwierig diese Situation für sie gewesen sein muss.»
Es sei unter diesen Umständen nicht einfach gewesen, die Interviews zu realisieren, erinnert sich Nishara Fernando. Sie konnten nicht wie ursprünglich geplant vor Ort durchgeführt werden und das Finden von Video-Call-Terminen verlangte teilweise eine gewisse Hartnäckigkeit, die sich aber lohnte: «Die Befragten, die ich interviewt habe, waren bezogen auf unser Thema alle sehr offen, kritisch und kompetent», so der Soziologe.
«Wir wussten immer, egal was war: Wir haben dasselbe Ziel, dieselbe Utopie.»
Pia Hollenbach, Universität Lausanne, Schweiz
«Das Vertrauen in ein gemeinsames Ziel macht eine Beziehung solide», ist Pia Hollenbach überzeugt. Das Projekt hat dies bestätigt. «Wir wussten immer, egal was war: Wir haben dasselbe Ziel, dieselbe Utopie. Wir wollen einen tollen Output, der uns und andere inspiriert.» Auch r4d-Programmmanagerin Claudia Zingerli habe diese Haltung geteilt: «Sie hat uns immer den Rücken gestärkt und signalisiert: Ihr schafft das.» Dass von dieser Seite kein zusätzlicher Druck aufgesetzt wurde, gab Luft zum Atmen und fokussiert bleiben. Das Ergebnis ist ein schöner Diamant. Schauen Sie unbedingt selbst.
Links
Der halbstündige Film «Brilliant Failure in International Partnerships» besteht aus drei Kapiteln, die als einzelne, 8- bis 10-minütige Videos auf Youtube veröffentlicht sind. Sie bestehen aus Videoaufnahmen, Mitschnitten von Zoom-Interviews und gezeichneten Animationen und lassen sich sehr gut einzeln oder im Verbund ansehen.
Kapitel 1:«Was ist Misserfolg?»
Chapter 2:«Wissensmanagement, Erfolg und Leadership»
Chapter 3:Partnerwahl
Englische Version dieses Artikelshier.